Draußen auf dem Atlantik – Yoga auf Sao Miguel
Veröffentlicht von Tina von Jakubowski | 27. März 2019
Früher dachte ich, dass die wahre Welt erst hinter dem Horizont beginnt. Das richtige Leben wartete dort draußen jenseits der Mittellinie von Himmel und Wasser auf mich.
Heute verstehe ich, dass hinter dem Horizont irgendwo Land mit Leben und Strukturen kommt. Es ist erreichbar. Man kann dorthin fahren, fliegen, wandern, schwimmen … irgendwann kommt man an und findet Menschen, die ihr Sein gestalten. Das endlos weite Meer hat an Magie eingebüßt, irgendwann zwischen Yogamatte und Studium. Die Relationen haben sich umgekehrt.
Eine Reise auf die Azoren
Heute ist das Innenleben geprägt von endloser Tiefe, Weite und Unverständnis. Das äußere Leben hingegen scheint begrenzt. Doch einige Orte auf dieser Welt belehren mich auf Reisen, dass diese äußeren Grenzen immerhin wandelbar sind. Solch ein Ort sind auch die Azoren – eine kleine portugiesische Inselgruppe im Atlantik, 1500 Kilometer westlich von Lissabon. Die vulkanisch geprägte, vielfältige Landschaft lädt zum Durchatmen, Laufen, aber auch zum Verweilen ein. Hier darf ich wieder erleben, wie es sich anfühlt auf den Horizont zu blicken und zu spüren, wie das Herz sich weitet.
Private Yoga auf Sao Miguel
Wann immer ich einen neuen Ort bereise, schaue ich nach, welche Möglichkeiten es gibt dort Yoga zu praktizieren. Ich liebe es, herauszufinden, wie Yoga andernorts geübt und gelebt wird. Ebenso suche ich auch auf der Insel Sao Miguel nach Yogastudios – und ich finde azoresyoga . Eine Einzelstunde bei Lehrerin Alexandra ist rasch gebucht und mit vorfreudiger Aufregung im Gepäck mache ich mich auf den Weg nach Ponta Delgada in ihr Studio mitten in der kleinen Hauptstadt.
In einem wunderschönen Altbau über einem Café befindet sich das azoresyoga Studio. Die Nachmittagssonne scheint auf den Holzboden und meine rote Matte. Wir sitzen voreinander im Schneidersitz und beginnen eine einzigartige Yogaklasse. Ich bin mit jeder Faser meines Körpers Schülerin und habe Alexandra auch nicht auf die Nase gebunden, selbst Yoga zu unterrichten. Welchen Unterschied macht diese Rolle denn? Ich lasse mich ganz auf das ein, was sie unterrichtet und genieße ihre ruhige Energie im Raum.
„Scan the body. Notice if there are parts of the body that are tensed or fragile. Breathe deeply and relax“, sagt Alexandra in leisem Englisch während ich in Shavasana liege. Hinter mir liegt eine außergewöhnliche Praxis. Nicht der Asanas oder des Sequencings wegen. Nein, das Gefühl des Loslassens in jeder Haltung war anders. Alexandra hat mich so beobachtet und angeleitet, wie ich gerade heute bin. Sie kennt meine Praxis nicht, weiß nichts über mich und hat keine Idee, was ich mit dem bei ihr Gelernten mache. Intuitiv konzipiert sie für mich die optimale Praxis, indem sie auf das eingeht, was sie genau heute sieht. Ohne Vorprägungen.
Meine Augen sind von einem kleinen Seidenkissen bedeckt, die Fensterläden des Altbaus sind angelehnt und in der Ferne höre ich das städtische Treiben von Ponta Delgada. „Your mind is calm and tranquil“, höre ich Alexandras Stimme. Ich lausche in meinen Kopf hinein. Ja, der Geist ist ruhig und leise. Aber ein warmes weites Gefühl tiefer Zufriedenheit breitet sich in meinem ganzen Körper aus.
Yoga in der Gruppe in Rabo de Peixe
Nah bei unserer Unterkunft in Rabo de Peixe finde ich auf meiner Suche nach Yoga auf Sao Miguel auch minuvida. Hinter diesem Namen verbirgt sich ein wunderschönes Retreathaus, geführt von Rimi und João. Rimi ist Forrestyoga-Lehrerin, hat indische Wurzeln und ist in Boston aufgewachsen. Auf der Suche nach dem, was für sie wichtig und wesentlich ist, ist sie João begegnet. Und nun leben die beiden auf den Azoren, betreiben minuvida und Rimi unterrichtet Yoga.
Ich nehme Freitagmorgen um 10.30 Uhr an einer offenen Klasse von Rimi teil. Neben mir sind noch drei ältere Damen dort, zwei von ihnen leben auf der Insel. Die andere Frau macht zum allerersten Mal Yoga und kommt aus Lissabon. Rimi unterrichtet präzise und mit angenehmen Hands-On. Da wir eine kleine Gruppe sind, kommt sie zu Jedem und alles, was sie tut, ergibt Sinn für meinen Körper.
Ich bin dankbar, an der Klasse teilnehmen zu können, die halb auf Englisch, halb auf Portugiesisch stattfindet. Der Klang von Yogahaltungen auf Portugiesisch lässt mich ganz im Hier und Jetzt ankommen. Ich lerne, dass die Kindeshaltung „postura do crianza“ heißt (zumindest höre ich es so) und ich erkenne viele Worte aus dem Spanischen wieder. Wir lachen, atmen und am Ende schläft eine der Damen hörbar ein, während oben Rimis Hund über das Dach läuft. So ist als Yoga auf Sao Miguel. Ich lächle zufrieden.